Grüßen - eine soziologisches Phänomen
Vor allem in nicht eindeutigen Situationen muss ich, wenn ich tatsächlich im Sommer mit dem Triumph Spitfire, der Rostlaube meines Vater aus den Siebzigern, die schon zehn Jahre in Sandl auf meinen jugendlichen Leichtsinn wartet, die mühlviertler Hügel in archaisch-grindige Heimatfilm-Atmosphäre hüllen will, noch einiges dazu lernen, was die seltsamen zwischenmenschlichen Interaktionen angeht, die manche von uns bei einem (manchmal sogar absichtlichen) Aufeinandertreffen tätigen. - Das Grüßen.
Gemeinhin wird die Sommerzeit als eine Phase unbeschwerten Lebens dargestellt, des dolce far niente , als jene Jahreszeit, die sich mit allerlei geistigen und körperlichen Erquickungen assoziiert, etwa der Sommerfrische oder der Ausflüge in offenen Autos auf schmalen und sehr schmalen Panorama- und Höhenstraßen im Wienerwald oder in der Buckligen Welt, am Wechsel oder am Semmering – je nach Lust und Laune in dieser oder in jener Richtung.
Wobei solches Sommervergnügen, bei dem man sich irgendwie in einen alten österreichischen Spielfilm der fünfziger Jahre versetzt fühlt, dadurch noch gesteigert werden kann, dass man in Autos von damals unterwegs ist. Natürlich sind viele auch mit neuen Autos unterwegs, für die ergibt sich aber das Problem nicht, das hier nun einmal angesprochen werden muss: Wer grüßt wen zuerst, wenn zwei Unbekannte sich begegnen? Denn es ist ja so: Besitzer alter Autos grüßen einander, wenn sie sich begegnen; Besitzer neuer Autos, so offen sie auch sein mögen, grüßen einander nicht.
Das mag damit zusammenhängen, dass im so genannten "Zeitalter der multioptionalen Individualisierung" eine Hierarchie der individualistischen Tiefenschärfe gilt, wenn ich das so ausdrücken darf. Das bedeutet, dass Farbe und Hersteller moderner Fahrzeuge ein bestimmtes Statement dokumentieren, die Wahl eines alten Autos aber als Ausdrucksform eines unbezwingbaren, individuellen Stolzes gilt. Alle, die sich also als Mitglieder dieser unbeugsamen Gestrigkeit erkennen, grüßen einander als Verschworene, als Repräsentanten einer gleichgesinnten Weltanschauung, die unverfälschte Technik schätzt und die elektronische Moderne hier und da durch einen kräftigen Zwischengasstoß (wie bei einem teilsynchronisierten Getriebe) für sich aufs alte Maß herunterstutzt.
Also: Welche Grüßordnung gilt, wenn die Alltagsregeln des Benimms nicht gelten, weil nicht gleich ersichtlich ist, welcher Fahrer jünger ist und welcher älter? Grüßt auch hier der Herr die Dame, der Mitarbeiter den Vorgesetzten? Aber wie erkennt der Mitarbeiter einen Höhergestellten? Natürlich kann man das Grüßproblem als lästige Unsitte, als Anbiederung gar abtun. Aber dann grüßen die anderen und es beschleicht einen das Gefühl, die Atmosphäre gestört zu haben; eilfertig grüßt man bei der nächsten Begegnung, merkt aber, dass der Entgegenkommende nicht grüßt. Auch kein gutes Gefühl. Noch irritierender ist es, wenn keiner grüßt, weil beide meinen, der andere müsste als erster grüßen, und zwar auf der Grundlage hoch komplizierter, doch imaginärer Regeln.
Aber welchen Regeln unterliegt denn diese Grüßordnung? Zunächst einmal nehme ich an, dass auf der Straße nicht die Persönlichkeit des Fahrers, sondern die des Fahrzeugs zählt. Auf diese werden die Höflichkeitsregeln des Alltags übertragen. Dieser Logik entsprechend, müssten die mit dem jüngeren Baujahr zuerst grüßen, weil immer die Jugend das Alter grüßt. Also wird zum Beispiel ein Triumph TR 6 dem TR 4 zuwinken, ebenso ein Jaguar XK 150 dem XK 120.
Aber was ist, wenn sich XK und Triumph begegnen? Grüßt man sich dann überhaupt? Bei dem Preisunterschied? Oder ist es hier wie im Alltag überhaupt, dass der Billigere den Teureren zuerst grüßt? Und was ist, wenn sich zwei XK 120 oder zwei MGBs begegnen? Spielt dann die Farbe eine Rolle? Oder der – bei der flüchtigen Begegnung kaum sichtbare – Zustand der Restauration?
Und schließlich: Was, wenn zwei gleichwertige Oldtimer unterschiedlicher Marken aufeinander treffen? Also zum Beispiel der XK 150 und ein offener Mercedes 220 Ponton, preislich sehr ausgeglichen, imagemäßig auch. Grüßen die sich überhaupt, oder bemitleiden sie sich gegenseitig?
Doch in welcher Folge auch immer gegrüßt wird – wichtig ist die von den Motorradfahrern abgeschaute, herablassende, nur kurz angedeutete, von einem unmerklichen Nicken begleitete, quasi tiefer gelegte Bewegung aus der kurz über das Lenkrad erhobenen Hand heraus, die sagt: Im Grunde genommen müsste ich dich ja gar nicht grüßen." aus der heutigen Ausgabe der Wiener Zeitung.
Holger Rust , geboren 1946, ist Publizist und Professor für Soziologie in Hannover.
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Gemeinhin wird die Sommerzeit als eine Phase unbeschwerten Lebens dargestellt, des dolce far niente , als jene Jahreszeit, die sich mit allerlei geistigen und körperlichen Erquickungen assoziiert, etwa der Sommerfrische oder der Ausflüge in offenen Autos auf schmalen und sehr schmalen Panorama- und Höhenstraßen im Wienerwald oder in der Buckligen Welt, am Wechsel oder am Semmering – je nach Lust und Laune in dieser oder in jener Richtung.
Wobei solches Sommervergnügen, bei dem man sich irgendwie in einen alten österreichischen Spielfilm der fünfziger Jahre versetzt fühlt, dadurch noch gesteigert werden kann, dass man in Autos von damals unterwegs ist. Natürlich sind viele auch mit neuen Autos unterwegs, für die ergibt sich aber das Problem nicht, das hier nun einmal angesprochen werden muss: Wer grüßt wen zuerst, wenn zwei Unbekannte sich begegnen? Denn es ist ja so: Besitzer alter Autos grüßen einander, wenn sie sich begegnen; Besitzer neuer Autos, so offen sie auch sein mögen, grüßen einander nicht.
Das mag damit zusammenhängen, dass im so genannten "Zeitalter der multioptionalen Individualisierung" eine Hierarchie der individualistischen Tiefenschärfe gilt, wenn ich das so ausdrücken darf. Das bedeutet, dass Farbe und Hersteller moderner Fahrzeuge ein bestimmtes Statement dokumentieren, die Wahl eines alten Autos aber als Ausdrucksform eines unbezwingbaren, individuellen Stolzes gilt. Alle, die sich also als Mitglieder dieser unbeugsamen Gestrigkeit erkennen, grüßen einander als Verschworene, als Repräsentanten einer gleichgesinnten Weltanschauung, die unverfälschte Technik schätzt und die elektronische Moderne hier und da durch einen kräftigen Zwischengasstoß (wie bei einem teilsynchronisierten Getriebe) für sich aufs alte Maß herunterstutzt.
Also: Welche Grüßordnung gilt, wenn die Alltagsregeln des Benimms nicht gelten, weil nicht gleich ersichtlich ist, welcher Fahrer jünger ist und welcher älter? Grüßt auch hier der Herr die Dame, der Mitarbeiter den Vorgesetzten? Aber wie erkennt der Mitarbeiter einen Höhergestellten? Natürlich kann man das Grüßproblem als lästige Unsitte, als Anbiederung gar abtun. Aber dann grüßen die anderen und es beschleicht einen das Gefühl, die Atmosphäre gestört zu haben; eilfertig grüßt man bei der nächsten Begegnung, merkt aber, dass der Entgegenkommende nicht grüßt. Auch kein gutes Gefühl. Noch irritierender ist es, wenn keiner grüßt, weil beide meinen, der andere müsste als erster grüßen, und zwar auf der Grundlage hoch komplizierter, doch imaginärer Regeln.
Aber welchen Regeln unterliegt denn diese Grüßordnung? Zunächst einmal nehme ich an, dass auf der Straße nicht die Persönlichkeit des Fahrers, sondern die des Fahrzeugs zählt. Auf diese werden die Höflichkeitsregeln des Alltags übertragen. Dieser Logik entsprechend, müssten die mit dem jüngeren Baujahr zuerst grüßen, weil immer die Jugend das Alter grüßt. Also wird zum Beispiel ein Triumph TR 6 dem TR 4 zuwinken, ebenso ein Jaguar XK 150 dem XK 120.
Aber was ist, wenn sich XK und Triumph begegnen? Grüßt man sich dann überhaupt? Bei dem Preisunterschied? Oder ist es hier wie im Alltag überhaupt, dass der Billigere den Teureren zuerst grüßt? Und was ist, wenn sich zwei XK 120 oder zwei MGBs begegnen? Spielt dann die Farbe eine Rolle? Oder der – bei der flüchtigen Begegnung kaum sichtbare – Zustand der Restauration?
Und schließlich: Was, wenn zwei gleichwertige Oldtimer unterschiedlicher Marken aufeinander treffen? Also zum Beispiel der XK 150 und ein offener Mercedes 220 Ponton, preislich sehr ausgeglichen, imagemäßig auch. Grüßen die sich überhaupt, oder bemitleiden sie sich gegenseitig?
Doch in welcher Folge auch immer gegrüßt wird – wichtig ist die von den Motorradfahrern abgeschaute, herablassende, nur kurz angedeutete, von einem unmerklichen Nicken begleitete, quasi tiefer gelegte Bewegung aus der kurz über das Lenkrad erhobenen Hand heraus, die sagt: Im Grunde genommen müsste ich dich ja gar nicht grüßen." aus der heutigen Ausgabe der Wiener Zeitung.
Holger Rust , geboren 1946, ist Publizist und Professor für Soziologie in Hannover.